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Freitag, 21. Oktober 2016

Die türkische Landraubwunschliste



Von Burak Bekdil für www.GatestoneInstitute.org, 20. Oktober 2016

Jedes Mal in der jüngeren Geschichte, wenn die türkisch-sunnitischen Neo-Osmanen sich für eine energische Außenpolitik in ihrem turbulenten Teil der Welt entschlossen gab es mehr Tote und kein gutes Ende für niemanden - weder staatliche noch nichtstaatliche Akteure, darunter auch Präsident Recep Tayyip Erdogans Türkei. Mit den vielen asymmetrischen Kriegen im Dreieck Türkei, Syrien und Irak die immer gewalttätiger und komplexer werden, und obwohl die USA in der Region gegen Dschihadisten kämpfen - und Russland und der Iran versuchen ihre Stellvertreterkriege zu gewinnen - erhöht die Türkei immer weiter den Einsatz, um ihren inhaltsleeren Traum zu verfolgen, die imperiale Größe von einst wieder aufleben zu lassen. Erdogan ist entschlossen, jeden Krieg zu führen, der mit einer türkisch-sunnitischen Dominanz über die Region enden wird. Das aber ist eine dumme Idee.

In seinen neueren Reden hat Erdogan oft eine lange vergessene arabische Redewendung verwendet, die sich in allen türkischen Herzen und Hirnen festgesetzt hat: Misak-i Milli ("Nationaler Vertrag").

Am 12. Februar 1920 hat das letzte osmanische Parlament eine Reihe von Entscheidungen verabschiedet, die Mustafa Kemal Atatürk, Gründer der modernen Türkei als die "Leitprinzipien unserer Unabhängigkeit" bezeichnete. Misak-i Milli legt neben anderen Prinzipien die Grenzen der modernen Türkei fest; es war eine Richtlinie, die bestimmte, wo die Grenzen der türkischen Republik beginnen und wo sie enden. Dies wurde zur Basis der Forderungen der neuen türkischen Republik für den Vertrag von Lausanne.

Laut Misak-i Milli "soll die Zukunft der zum Zeitpunkt der Unterschrift unter den Waffenstillstandsvertrag von Mudros von einer arabischen Mehrheit bewohnten Territorien durch ein Referendum entschieden werden." Auf der anderen Seite sollten die Territorien, die zu der Zeit nicht besetzt waren und von einer türkischen Mehrheit bewohnt wurden zur Heimstatt der neuen türkischen Nation werden. Der Status von Kars, Ardahan (seitdem türkische Provinzen) und Batumi (eine Provinz von Georgien) soll jeweils durch ein Referendum bestimmt werden. Der Status von Westthrakien (in Griechenland) wird ebenfalls über eine Abstimmung seiner Bewohner bestimmt. Misak-i Milli legte auch fest, dass die ehemalige osmanische Provinz Mosul zur türkischen Provinz werden soll. Stattdessen aber kam Mosul unter britische Kontrolle und wurde danach eine irakische Provinz. Mosul ist heute die zweitgrößte Stadt des Irak, befindet sich aber unter der Kontrolle des Islamischen Staates.

Wie berichtet wird sagte Erdogan seinen Ministern diesen Monat bei einem Kabinettstreffen:


"Die Türkei kann nun nicht mehr länger die selbe bleiben. Der Status Quo wird sich irgendwie verändern. Wir werden entweder Schritte nach vorne machen, oder wir werden zum schrumpfen gezwungen sein. Ich bin dazu entschlossen, nach vorne zu gehen."

Bei einer anderen Rede sagte Erdogan:

"Die Türkei ist nicht nur die Türkei. Abgesehen von seinen 79 Millionen Bürgern ist sie auch verantwortlich für hunderte Millionen unserer Brüder in den geografischen Gebieten, zu denen wir historische und kulturelle Verbindungen haben... Gewisse Historiker glauben, dass die vom Nationalen Vertrag gesetzten Grenzen Zypern, Aleppo, Mosul, Erbil, Kirkuk, Batumi, Thessaloniki, Kardzhali, Varna und die [griechischen] Inseln in der Ägäis beinhalten."

Was bedeutet all das, insbesondere zu einer Zeit, wenn der türkische Präsident die Öffentlichkeit alle paar Tage an Misak-i Milli erinnert - und wenn die Verbündeten eine Offensive planen, um den IS aus Mosul zu vertreiben? Es bedeutet, dass die sunnitische Türkei eine zukünftige schiitische (und kurdische) Expansion entlang seiner südlichen Grenzen zu Syrien und dem Irak befürchtet; um dem zu begegnen hofft Erdogan eine pro-osmanische, sunnitische Region gegen die iranische Dominanz erschaffen zu können.

Die türkischen Grenzen zum südlichen Nachbar Syrien, im südosten zum Irak und im Osten zum Iran summieren sich auf etwa 2.000 Kilometer. Erdogan weis sehr gut, dass er kaum 80 Millionen schiitische Iraner zu Sunniten machen kann. Aber er befürchtet, dass der Iran einen feindlichen und schiitisch kontrollierten Grütel in Syrien und dem Irak in der Grenzregion zur Türkei aufbauen kann (insgesamt fast 1.400 Kilometer). Er befürchtet auch, dass der Iran in der Lage ist die türkisch-kurdischen Feinde logistisch zu unterstützen, was für die Türkei gleichbedeutend mit Gewalt und Chaos ist. Es gab bereits über 1.000 Tote innerhalb der Türkei aufgrund der Gewalt von separatistischen Kurden, seitdem die kurdische Arbeiterpartei PKK im Juli 2015 eine zwei Jahre haltende Waffenruhe aufkündigte.

Die Spannungen zwischen Erdogans Sunnitentum und dem iranischen Schiitentum erreichte einen neuen Höhepunkt, als Ankara darauf bestand, dass die schiitischen Kräfte nicht an der Offensive auf Mosul teilnehmen dürfen; stattdessen, so behauptet die Türkei, sollten von Ankara unterstützte sunnitische Islamistengruppen und freundlich gesinnte kurdische Peschmerga aus dem Nordirak an der internationalen Kampagne teilnehmen, mit der Mosul vom IS zurückerobert werden soll. Es gibt allerdings ein Problem. Mosul ist kein türkisches Territorium, wie es im Misak-i Milli festgeschrieben war, sondern gehört zum Irak. Und die schiitisch kontrollierte irakische Regierung will weder türkische noch türkisch unterstütze sunnitische Truppen auf seinem Boden.

Nach dem Beginn der alliierten Kampagne für Mosul erreichten auch die Spannungen zwischen Ankara und Baghdad auf einen neuen Höhepunkt. Unterstützer des schiitischen Klerikers Moqtada al-Sadr aus dem Irak protestierten am 17. Oktober außerhalb der türkischen Botschaft, nachdem der Kleriker zu Protesten aufrief, um zu fordern, dass türkische Truppen die nordirakische Bashiqua Kaserne verlassen sollen, wo einige hundert türkische Soldaten gerade sunnitische Milizen ausbilden, um Mosul vom IS zurückzuerobern. Sowohl die Präsenz in der Kaserne, wie auch die Proteste verursachten einen heftigen Streit zwischen den beiden Ländern. "Raus, Raus, Besatzer!" und "Ja, Ja, für den Irak" riefen die Anhänger von al-Saqr. Baghdad will die türkischen Truppen rauswerfen, aber die Türkei weigert sich zu gehen. Das ganze Abenteuer wird zunehmend zu einem türkisch-iranischen Stellvertretertheater.

Am 18. Oktober sagte Erdogan:

"Wenn wir sagen, wir sollen an beiden Orten sein, dem Tisch und dem Feld, dann gibt es einen Grund dafür... Was ihr 'Baghdad' nennt ist der Verwalter einer Armee voller Schiiten. Werden wir mit ihnen reden? Sie sagen, 30.000 schiitische Milizen werden kommen. Sie sollten sich gut auf das vorbereiten, was sie erwartet."

Während die schiitischen Iraker gegen die türkische Militärpräsenz in ihrem Land demonstrierten nah die türkische Luftwaffe an Operationen teil, um die irakische und kurdische Offensive zur Rückeroberung Mosuls zu unterstützen, wie der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim meinte. "Unsere Luftwaffe ist Teil der Luftstreitkräfte der Koalition bei der Rückeroberung von Mosul," sagte Yildirim seiner Parlamentsgruppe in Ankara.

Währenddessen kämpfe das türkische Militär neben einer Armee "moderater" islamistischer Rebellen, die seit dem 24. August gegen die Rückzugsgebiete des IS in Nordsyrien vorgeht. Dabei handelt es sich um einen weiteren Stellvertreterkrieg: Die von der Türkei unterstützten "moderaten" Dschihadisten kämpfen gegen die weniger moderaten Dschihadisten, wobei die "Moderaten" etwa 1,240 Quadratkilometer Land von den weniger Moderaten erobern konnten.

Auch in Syrien entspricht der strategische Feind nicht dem taktischen Ziel IS. Mit dem Kampf gegen den IS und dem gemeinsamen Vorrücken mit der unterstützten Armee der "Moderaten" versucht Ankara jegliche zukünftige schiitische und/oder kurdische Expansion in Nordsyrien zu unterbinden.

Dem türkischen (nichtislamistischen) Syndrom des Nationalen Vertrages wude nun mit dem Aufkommen von Islamisten unter osmanischer Flagge neues Leben eingehaucht worden. Das ist weder eine gute Nachricht für die Region, noch für die westlichen Freunde der Türkei und auch nicht für die Türkei selbst.


Im Original: Turkey's Land-Grab Wish List
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