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Donnerstag, 5. Januar 2017

Deutschland ist gelähmt von der Angst, dass sich die Nazivergangenheit wiederholen könnte

Adolf Hitler: Freut sich über den Erfolg seiner Autobiografie
Von Juliet Samuel für www.Telegraph.co.uk, 5. Januar 2017

Klassiker sterben nie. Siebzig Jahre, nachdem es in Deutschland zuletzt gedruckt wurde ist Adolf Hitlers Mein Kampf wieder ein Bestseller. Eine neue Ausgabe des schwafeligen, nationalistischen und antisemitistischen Sermons wurde bereits 85.000 Mal verkauft und eine sechste Auflage befindet sich bereits im Druck.

Mein Gott! Was zur Hölle ist nur mit diesen Deutschen los?

Tatsächlich nichts wirklich schockierendes. Sie kaufen eine stark kommentierte Fassung, die sich inklusive kritischem Kommentar auf 2.000 Seiten beläuft. Ich glaube nicht, dass das Buch von irgendwelchen Neonaziextremisten mit Schaum vor dem Mund gekauft wird. Wahrscheinlicher ist eher, dass Schulen, Universitäten, Bibliotheken und normale Deutsche versuchen, sich über ein wichtiges historisches Dokument zu informieren, das bislang nicht käuflich zu erwerben war.

Es ist wenig überraschend, dass Hitler noch immer die Massen fasziniert, und nicht nur in Deutschland. Die meisten westlichen Länder ergeben sich in irgendeiner Art der Naziobsession. In Großbritannien war Hitler lange gut für Witze und zur Schau gestelltem Heroismus. Die USA setzen das Hakenkreuz als dramatischen Effekt ein, als das Abzeichen des ultimativen Hollywoodbösewichts.

Auch im von der Schuld zerfressenen Deutschland versucht man erst neuerdings, über Hilter zu lachen. Ein erfolgreicher Film von 2015, der auf dem satirischen Roman "Er ist wieder da" beruht, war Deutschlands erster großer Versuch. Darin steht Hitler im modernen Berlin wieder auf und bekommt von selbstvergessenen TV Produzenten eine Fernsehsendung, da sie ihn für einen talentierten Immitator halten. An einem Punkt gibt Hitler einem unglücksseeligen Zeitgenossen ein paar Flirttipps, der Adolf dann rät, ein Buch zu schreiben mit dem Titel "Mein Kampf mit meiner Frau".

Am Ende aber wird der Film zu einer düsteren moralischen Lehrstunde, ganz ohne Humor. Auch wenn die Deutschen über Adolf lachen, leicht fällt es ihnen immer noch nicht.

Das sollte es auch nicht. Die Ehrfurcht vor den Schrecken der Vergangenheit ist es wert bewahrt zu werden - auch wenn diese immer weiter zurückliegt und schwerer fällt. Sehen konnte ich dies in Frankreich während eines Schulausflugs ins Elsass. Wir besuchten Le Struthof, dem einzigen Konzentrationslager auf französischem Boden. Meine Gruppe, von denen etwa die Hälfte jüdisch war, durchquerte das Lager in Stille. Anders aber war es bei den französichen Schülern. Ich erinnere mich, wie ich völlig schockiert war, als ich sah, wie ein französischer Jugendlicher lachend einen anderen dabei fotografierte, wie er sich auf eine vor einem Ofen stehende metallene Liege legte und tot spielte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass so etwas von einem deutschen Lehrer toleriert würde.

Die Ehrfurcht aber kann auch zu weit gehen. Die Bewerbung des Nazitums ist nach deutschem Recht erwartungsgemäss verboten. Allerdings gibt es Gelehrte und Aktivisten, die weiter gehen als das und meinen, es sei amoralisch, wenn man das Nazitum und den Holocaust mit anderen politischen Bewegungen oder Verbrechen vergleicht. Der Nazi Holocaust, so meinen sie, ist unvergleichbar.

Unglücklicherweise ist der Holocaust aber nur einer von vielen Genoziden und Massakern, die sich in der Geschichte ereigneten. Und mein Kampf kann uns nicht nur etwas über Hitler lehren, sondern auch über die Verführungskraft mit Sündenböcken, Gewalt, Rassismus, paranoidem Opferkult und nationaler Nostalgie. Bewusst gezogene historische Vergleiche sollten kein Sakrileg sein.

Auf der anderen Seite sind da noch die Aktivisten, die sich zu sehr an den 1930ern bedienen. Der Holocaust, so meinen sie - trivialisierend, ungenau und widerlicherweise - sei nichts anderes als das, was Israel in Gaza macht. Sie Leute sind, um es freundlich auszudrücken, nicht daran interessiert, aus der Geschichte zu lernen.

Und nun, nach den politischen Verschiebungen von 2016, gibt es überall im Land in Kneipen und Abendveranstaltungen eine heissblütig geführte Debatte. Der Aufstieg von Trump? Wie in den Dreißigern. Der Brexit? Oh, Don't mention the war. Le Pen? Hitler in Stöckelschuhen. Wir sind besessen von Nazis, dem Appeasement, Nationalismus. In kürzester Zeit hat sich die Stimmung unter Europas Intelligenzia gedreht vom Glauben, dass die Geschichte an ihrem Ende ankam hin zur Vorstellung, dass sich alles wiederholen wird.

Nirgendwo haben die Menschen mehr Angst vor einer Wiederholung der Geschichte als in Deutschland, wo die Sühne eine der wichtigsten Orientierungspunkte der Politik ist. Deutschlands erbärmlicher Beitrag zur NATO, seine dürftigen Geheimdienste, das Hereinlassen über einer Million Flüchtlinge, die feste Verpflichtung gegenüber offenen Grenzen, selbst das ganze Euro Projekt: Das alles hat den Zweck einzudämmen, zu neutralisieren und wiedergutzumachen. Während der Nationalstaat in Großbritannien und Polen gesehen wird als das Verteidigungsgerüst für die Freiheit gegen die Eroberung, so werden der Nationalstaat und seine Institutionen in Deutschland gesehen als Instrumente faschistischen Terrors. Für Angela Merkel und ihresgleichen verhält es sich so, dass je größer die Gefahr für den Liberalismus ist, desto starrer und dogmatischer muss dieser verteidigt werden.

Die Verteidigung des Liberalismus aber kann in der Vergangenheit begangene Verbrechen nicht ungeschehen machen. Europa hätte sich gegen Hitlers Aufstieg an die Macht wehren müssen. Aber heisst das wirklich, dass sich die EU und ihre Führungseltite heute im modernen Europa weiterhin an das enge integrationistische Dogma klammern muss und sich weigern aus Fehlern zu lernen oder sich zu reformieren? Damals, in den 1930ern verursachte Deutschland Millionen von Flüchtlingen. Aber bedeutet dies, dass die Hereinnahme von Flüchtlingen deswegen eine so noble Tat sein muss, die keiner praktischer Grenzen oder sorgfältiger Planung bedarf? Selbstverständlich nicht.

Es ist großartig, dass die Deutschen so versessen darauf sind, Mein Kampf zu studieren. Schuldgefühle aber sind keine gute Basis für eine Gesellschaft und die Sühne darf nie zum unbedingten Politikziel werden. Das Lernen aus der Vergangenheit ist das eine. Sich davon lähmen lassen etwas anderes.






Im Original: Germany is blinded by the fear that Nazi history will repeat itself
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