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Samstag, 4. März 2017

Psychologen finden heraus: Moralische Empörung ist eigennützig


Sie regen sich dauernd über die Ungerechtigkeiten der Welt auf? Dann überkompensieren Sie vermutlich etwas. Von Elizabeth Nolan Brown für www.Reason.com, 1. März 2017

Wenn Menschen sich öffentlich über empfundene Ungerechtigkeiten aufregen, die sie selbst nicht betreffen, dann neigen wir zur Annahme, dass diese Verhaltensweise im Altruismus begründet liegt - einer "selbstlosen und ohne Eigennutz begründeten Sorge um das Wohl anderer." Neue Forschungen aber deuten darauf hin, dass diese Drittparteiensorge - was wissenschaftlich als "moralische Empörung" bezeichnet wird - oftmals nur eine Funktion des Eigeninteresses ist, mit der die eigenen Schuldgefühle für sozial negatives Verhalten besänftigt oder gar verstärkt werden sollen, um damit sich und anderen zu zeigen, was für ein guter Mensch man ist.

Die Empörung "im Namen eines Opfers eines [empfundenen] moralischen Vergehens" wird oftmals als eine "sehr soziale Regung" erachtet, die im "Wunsch ruht, Gerechtigkeit herzustellen, indem man im Namen der Opfer kämpft," wie die Psychologieprofessoren Zachary Rothschild aus Bowdoin und Lucas A- Keefer von der Universität von Südmississippi in der neuesten Ausgabe von "Motivation and Emotion" behaupten. Doch diese kontroverse These - wonach die moralische Empörung der Selbstgerechtigkeit entspringt - stellt die Forschung über Schuld in Frage, sagen sie.


Schuldgefühle sind eine direkte Gefahr für das Selbstbild, nach dem man sich selbst als eine moralische Person sieht und entsprechend besagt die Forschung über Schuld, dass diese Emotion für das Entstehen von Strategien verantwortlich ist, mit denen die Schuld mit Hilfe des Empörens wegen des schädigenden Verhaltens, den eine Drittpartei ausübt, gelindert werden soll. Hinzu kommt laut ihren Forschungsergebnissen, dass wenn man Personen an ihre moralische Gruppenschuld erinnert, dann reagieren sie mit Empörung, die sich gegen das schädigende Verhalten einer Drittpartei richtet. Diese Erkenntnisse lassen vermuten, dass Empörung, von denen man lange dachte, sie sei einzig und allein der Sorge um die Erhaltung der Gerechtigkeit geschuldet, manchmal einfach nur ein Ausdruck der Bemühungen ist, die eigene moralische Identität zu erhalten.

Zur Überprüfung dieser These zu Schuld-Empörung-moralische-Selbstbestätigung führten Rothschild und Keefer fünf separate Studien durch, mit denen sie die Beziehungen zwischen Ärger, Empathie, Identität, Individual- und Kollektivschuld, Selbstwahrnehmung und dem Ausdruck der moralischen Empörung untersuchten.

Für jede Studie bekam eine neue Gruppe von Teilnehmern (die mithilfe von Amazons "Mechanical Turk" Programms rekrutiert wurden) einen erfundenen Nachrichtenartikel vorgesetzt, bei dem es um die Ausbeutung von Arbeitern in Entwicklungsländern, oder um den Klimawandel ging. Für die Studien, in denen der Klimawandelartikel verwendet wurde, bekam die Hälfte der Teilnehmer zu lesen, dass der größte Treiber des menschengemachten Klimawandels der amerikanische Konsument sei, während die anderen lasen, dass die chinesischen Konsumenten die Schuld daran tragen. Beim Ausbeutungsartikel wurden die Teilnehmer in einer Studie dazu veranlasst darüber nachzudenken, in wieweit sie an der Ausbeutung von Kindern, ihrer Schleusung und den schlechten Arbeitsbedingungen in den "Sweatshops" eine Schuld tragen; in einer anderen erfuhren die Teilnehmer über die schlechten Bedingungen in den Fabriken, in denen Apple Produkte hergestellt werden und das Versagen des Unternehmens darin, dies zu ändern. Nachdem sie mit dem jeweiligen Artikel konfrontiert wurden bekamen die Studienteilnehmer eine Reihe von kurzen Umfragen und Übungen, mit denen ihr Mass in Bereichen wie persönlicher Schuld, kollektiver Schuld, Ärger über Drittparteien ("multinationale Konzerne", "internationale Ölkonzerne"), die in die Umweltzerstörung/der Arbeitsausbeutung verwickelt sind, dem Wunsch nach Strafe und dem Glauben an die eigene moralische Überzeugung, sowie der grundlegenden Ansicht zu den zur Debatte stehenden Fragen und in wieweit sie davon positiv und negativ beeinflusst werden. Hier ist die Quintessenz der Erkenntnisse aus Rothschild und Keefers Untersuchungen:

1. Das Auslösen von persönlichen Schuldgefühlen für ein Problem verstärkt die moralische Empörung, die sich gegen eine Drittpartei richtete. Haben die Teilnehmer beispielsweise gelesen, dass die amerikanischen Konsumenten die größten Treiber des Klimawandels sind, dann "wurde ein signifikant höheres Maß an Empörung gegen die von multinationalen Ölkonzernen verursachte Umweltzerstörung gemessen", als wenn sie gelesen hatten, dass die chinesischen Konsumenten dafür verantwortlich seien.

2. Je größer die Schuld aufgrund einer möglichen eigenen Verschuldung ist, desto größer ist der Wunsch, "eine Drittpartei zu bestrafen, da diese zum Ziel der moralischen Empörung wird." Beispielsweise haben jene Teilnehmer einer Studie, die über die Arbeitsausbeutung in Sweatshops lasen und den eigenen Einfluss darauf über ihre Konsumgewohnheiten bewerten mussten, deutlich höhere Werte an Verärgerung gegenüber "multinationalen Konzernen" angegeben, die sich an dem Ausbeutunggsystem beteiligen und es aufrecht erhalten, und drückten auch den Wunsch aus, diese Institutionen dafür zu bestrafen. Die Ergbnisse zeigten, dass eine größere Schuld "im Zusammenhang stand mit der Bereitschaft zu mehr Bestrafung einer Schaden anrichtenden Drittpartei, da sie ihr gegenüber eine größere moralische Empörung empfanden."

3. Teilnehmer, die von einer "gruppeninternen Immorlität" bedroht waren, konnten ihre gefühlte persönliche Schuld verringern, wenn sie die Gelegenheit hatten, gegenüber einer Drittpartei empört zu sein. Wer von den Studienteilnehmern las, dass Amerikaner die Hauptverantwortung für den menschengemachten Klimawandel trugen zeigten deutlich größere Werte der Schuld, als jene, die den alternativen Chinaartikel lasen, als ihnen keine Gelegenheit gegeben wurde, ihren Ärger oder die Schuld gegenüber einer Drittpartei auszudrücken. Haben sie dagegen die Gelegenheit, sich über einen hypothetischen Konzern zu ärgern, dann hatten die Amerika-ist-schuld Leser deutlich geringere Schuldwerte, als die Chinagruppe. Die China-ist-schuld Leser dagegen hatten vergleichbare Werte, egal ob sie die Gelegenheit hatten, ihre moralische Empörung auszudrücken oder nicht.

4. "Die Gelegenheit, seine moralische Empörung gegenüber einem Schaden verusachenden Konzern auszudrücken" hat das Empfinden persönlicher Moralität verstärkt. Als die Teilnehmer gebeten wurden, ihre eigene moralische Einstellung zu bewerten, nachdem sie den Amerikaner-sind-Schuld Artikel lasen, ergab sich, dass sie "über eine signifikant niedrigere Moralität" verfügten, als jene, die den China-ist-schuld Artikel zu lesen bekamen - was aber nur dann galt, wenn sie niemandem gegenüber ihre Empörung ausdrücken konnten. Die Teilnehmer in der Amerika-ist-schuld Gruppe ereichten vergleichbare Werte an moralischem Stolz, wie die China Kontrollgruppe, wenn sie zuerst nach dem Mass an Schuld der verschiedenen Unternehmensakteure gefragt wurden und ihrer persönlichen Wut auf diese Gruppen. In beiden Fällen und auch einer vergleichbaren Studie, bei der ein Artikel über Arbeitsausbeutung verwendet wurde "führte die Gelegenheit sich moralisch gegenüber den Schaden verursachenden Konzernen zu signifikant höheren persönlichen moralischen Einschätzungen," so die Autoren.
5. Die schuldinduzierte moralische Empörung fiel geringer aus, als die Teilnehmer ihre gute Gesinnung mit alternativen Mitteln ausdrücken konnten, "was selbst in Zusammenhängen galt, die nichts damit zu tun hatten." Für die fünfte Studie wurde der Artikel über die Arbeitsausbeutung verwendet und allen Teilnehmern wurden Fragen zum Mass der empfundenen "Kollektivschuld" in der jeweiligen Situation gestellt (z.B. "Schuldgefühle, weil jemand aus der eigenen Gruppe Schaden angerichtet hat"), um ihnen dann einen Artikel über die schrecklichen Arbeitsbedingungen in den Apple Fabriken zu geben. Danach erhielt die Kontrollgruppe eine neutrale Aufgabe, während die anderen gebeten wurden, genau zu beschreiben, was sie zu einer guten und vernünftigen Person macht; beide Übungen wurden von einer Einschätzung der Empathie und der moralischen Empörung begleitet. Die Forscher fanden dabei heraus, dass jene mit einem hohen Maß an Kollektivschuldgefühlen, die erst ihre gute Moral einschätzen konnten, sich weniger über die Konzerne ärgerten. Wenn die selbe Gruppe mit starkem Kollektivschuldgefühl zuerst eine neutrale Aufgabe gegebe wurde und sich nicht vergewissern konnte, dass sie gute Menschen sind, dann haben sie eine stärkere moralische Empörung gegenüber Drittparteien geäußert. Gleichzeitig führte die Abfolge, zuerst die eigene Moral einzuschätzen und danach Konzerne zu kritisieren bei Personen mit geringeren Kollektivschuldgefühlen nur zu wenig mehr Empörung.

Diese Erkenntnisse bestätigten sich sogar dann, als weitere Aspekte über die Teilnehmer einflossen, wie etwa die politische Einstellung, die allgemeine Betroffenheit und die Gemütslage zu den Themen.

Unterm Strich stehen die Ergebnisse der fünf Studien durch Rothschild und Keefer "im Einklang mit aktuellen Forschungsergebnissen, nach denen die nach außen gerichtete Empörung als Reaktion auf eine empfundene Bedrohung des moralischen Gruppenstatus gesehen werden kann," so die Autoren. Die Erkenntnisse lassen auch vermuten, dass "die moralisch getriebene Empörung dafür kompensiert, dass die persönliche oder kollektive Immoralität bedroht wird", woraus eine kognitive Dissonanz entstehen kann und zeigt, dass es eine "Verbindung zwischen Schuldgefühlen und eigennützigen Empörungsausdrücken gibt, die als eine Art von 'moralischer Scheinheiligkeit' gesehen werden kann, oder zumindest als eine nicht-moralische Art des Ärgerns mit einer moralischen Fassade."






Im Original: Moral Outrage Is Self-Serving, Say Psychologists
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